Der Kunst auf der Spur

Kunstdetektei

Kunstermittler • Gemäldesuche

Münchener Kunstfund

1. Der Fall Cornelius Gurlitt

Bayerische Zollfahnder beschlagnahmten 1406 bislang verschollene Gemälde bereits im Frühjahr 2011 in einer Münchner Wohnung. Insgesamt 121 gerahmte und 1285 ungerahmte Werke. Der Einsatz lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit und wurde von den Behörden geheim gehalten. Es wurde eine unvorstellbare Menge an Drucken, Radierungen, Stichen und Gemälden sichergestellt.

Da sich unter dem Fund auch Werke jenseits der klassischen Moderne befinden, wirft die Frage auf, wie die Familie Gurlitt in deren Besitz kam.

Angehäuft wurden die Gemälde von einem der vier Kunsthändler, die während des Nationalsozialismus mit dem Verkauf der von ihnen verfemten, sogenannten „entarteten Kunst“ beauftragt war: Hildebrand Gurlitt. Dieser sammelte die Gemälde in den 30er- und 40er-Jahren. Viele Museen und Sammlungen hatten damals die betroffenen Werke freiwillig zur Verfügung gestellt, um ihre Bestände von dieser Kunst zu „säubern“.

Bislang wurde nur gemutmaßt, dass die Sammlung von Hildebrand Gurlitt zusammengestellt wurde und er sich dabei aus dem Bestand der entarteten Kunst bedienen konnte. Vermutlich hat Hildebrand Gurlitt viele Arbeiten selbst gekauft und einen Kaufpreis an das Propaganda-Ministerium entrichtet. Nach Kriegsende hatte er angegeben, seine Sammlung sei 1945 bei den Bombardierungen Dresdens verbrannt. Für den Umstand, wie er in den Besitz etwa eines Dürer-Bildes gekommen ist, gibt es bislang keinerlei Erklärung. Damit wird die Einordnung, wie viele von den entdeckten Kunstwerken als Raubkunst gewertet werden müssen, noch schwieriger.

Hildebrand Gurlitts Sohn Cornelius bewahrte die Meisterwerke über ein halbes Jahrhundert in seiner Schwabinger Wohnung auf.

Cornelius Gurlitt ist ein Einzelgänger, dessen Existenz in Deutschland bislang keiner Behörde bekannt war.

Bei einer routinemäßigen Personenkontrolle am 22. September 2010 gegen 21 Uhr abends in einem Schnellzug zwischen Zürich und München, auf dem Streckenabschnitt Lindau-Kempten war Cornelius Gurlitt verdächtig aufgefallen. Der Passagier hatte 9000 Euro in bar bei sich, erlaubt sind 10.000 Euro. Das Zollfahndungsamt München spekulierte daraufhin: Wenn jemand 9000 Euro dabei hat, kann man davon ausgehen, dass diese Person mit den rechtlichen Rahmenbedingungen zum Geldtransfer zwischen Deutschland und der Schweiz gut vertraut ist. Die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt gegen Cornelius Gurlitt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Die Ermittler sammelten weiter Indizien und es wurde ein Durchsuchungsbeschluss für seine Münchner Wohnung erwirkt.

Fraglich ist, wie es rechtsstaatlich möglich ist, einen richterlichen Beschluss für eine Wohnungsdurchsuchung auf Basis eines legalen Bargeldfundes in der Jackentasche eines Bahnreisenden zu erwirken. Es handelte sich um eine Routinekontrolle, die dem Richter offenbar eineinhalb Jahre später als Anfangsverdacht für die Anordnung einer Hausdurchsuchung ausreichte. Dies darf kritisch gesehen werden und lässt die Vermutung zu, dass den Ermittlungsbehörden bereits zu diesem Zeitpunkt weitere Details bekannt gewesen sein dürften. Eine naheliegende Vermutung ist die, dass den Ermittlern Gurlitts Versteigerung des Gemäldes „Der Löwenbändiger“ von Max Beckmann für 864 000 Euro beim Auktionshaus Lemperz in Köln im Herbst 2011 nicht entgangen sein dürfte. Der 79-Jährige verkaufte im Laufe der Zeit immer wieder Gemälde um von dem Erlös zu leben. Ob eine Observation stattgefunden hat, bleibt offen. Ebenfalls, ob es sich nun bei der Entdeckung der Gemälde um einen „Zufallsfund“ handelte oder nicht.

Ein Haftbefehl gegen Cornelius Gurlitt liegt nicht vor, da der Tatverdacht bislang nicht dringend ist und eine Fluchtgefahr nicht besteht.

2. Die Rechtslage

Die Bilder waren im Dritten Reich von den Nationalsozialisten als „entartet“ konfisziert oder jüdischen Sammlern geraubt worden. Den Untersuchungen zufolge gehören mindestens 300 der aufgetauchten Werke zu den verschollenen Exponaten der „entarteten Kunst“. Für etwa 200 Werke liegen offizielle Suchmeldungen vor. Arbeiten, die erst nach 1933 veräußert wurden, gelten als NS-verfolgungsbedingtes Raubgut und müssten rückerstattet werden.

Da anzunehmen ist, dass Hildebrand Gurlitt viele Arbeiten selbst gekauft hatte und den entsprechenden Kaufpreis an das Propaganda-Ministerium entrichtete, ist er nach der damaligen Rechtslage der rechtmäßige Erwerber. An diesem rechtlichen Status quo ist nie etwas verändert worden.

Grundlage war ein Gesetz, das die Nazis 1938 nachträglich zur Rechtfertigung der „Säuberungsaktion“ erließen. Es ist nach dem Krieg weder von den Alliierten noch später von der Bundesregierung außer Kraft gesetzt worden. Die Vorgehensweise selbst wurde zwar als Kulturbarbarei der Nazis gebrandmarkt, aber an der rechtlichen Situation hat man nie etwas verändert.

Wenn Kunst, ohne Druck auszuüben gekauft wurde, kann durch einen niedrigen Kaufpreis allein per se kein ein Rückübertragungsanspruch hergeleitet werden. Auch der Kunstmarkt wird von Angebot und Nachfrage bestimmt.

In der Zeit des Nationalsozialismus (und auch kurz danach) war entartete Kunst nicht gefragt und daher entsprechend günstig zu erwerben. Es kann nicht sein, dass man antizyklische Käufer nachträglich für ihren Weitblick bestraft, indem man ihnen nicht nur die Wersteigerung, sondern sogar das Eigentum an den rechtmäßig erworbenen Kunstgegenständen abspricht.

Streng abzugrenzen ist die Situation bei NS-Raubkunst. Unter Raubkunst versteht man den Umstand, dass verfolgte jüdische Kunsthändler und Sammler unter dem Druck der Nazis ihre Kunstgegenstände verkaufen mussten oder diese beschlagnahmt wurden. Nach dem Washingtoner-Raubkunst Abkommen von 1989 soll in solchen Fällen eine „gerechte und faire Lösung“ mit den Erben erzielt werden. Private Kunstbesitzer, Museen und Stiftungen sind an diese Deklaration jedoch nicht gebunden.

Die gesamte Rechtslage hierzu muss auf den Prüfstand gestellt werden. Es gibt bislang fast keine Rechtsprechung zu diesem Problem. Wenn in der Vergangenheit Museen auf der Kunstmarktszene Werke ihres früheren Bestandes entdeckten, die vom Dritten Reich eingezogen worden waren, verhielten sie sich meistens zaghaft und bestanden nicht auf einem Fortbestehen ihres Eigentums. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Museen während des Nationalsozialismus auch ein Teil des NS-Apparats darstellten und damit die Konfiszierung entarteter Kunst mit zu verantworten hatten.

Der milliardenschwere Münchner Kunstfund hat das Thema wieder auf die Agenda gesetzt.

Trotz des Washingtoner Raubkunst-Abkommens vor 15 Jahren seien viele Museen der moralischen Verpflichtung, die Werke ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben, bislang nicht nachgekommen. Notwenig sind Koordinierungsmaßnahmen auf Bundesebene wie bei der Zwangsarbeiterentschädigung.

Gegen Gurlitt konkret ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg nun, ob er sich eines steuerrechtlichen Vergehens schuldig gemacht hat und ob er Vermögenswerte in Form von Kunstwerken unterschlagen haben könnte. Fraglich ist jedoch, ob diese Straftaten möglicherweise nicht längst verjährt sind (Steuerhinterziehung verjährt nach fünf bis zehn Jahren, Unterschlagung von Vermögen nach fünf Jahren).

3. Die Gemälde

Es wurden 1406 Meisterwerke von Künstlern der klassischen Moderne wie Pablo Picasso, Marc Chagall, Paul Klee und Max Liebermann. Auch zahlreiche Bilder der französischen Meister Auguste Renoir, Gustave Courbet, Henri Matisse und Henri de Toulouse-Lautrec. Groß ist auch der Bestand an deutschen Expressionisten, unter anderem wurden Werke von Franz Marc, Emil Nolde, August Macke, Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Karl Schmidt-Rottluff und Ernst-Ludwig Kirchner gefunden. Darunter sowohl Ölgemälde und Lithografien als auch Zeichnungen und Aquarelle.

Ebenfalls wurden deutliche ältere Arbeiten von Canaletto (1808 – 1885) und sogar Albrecht Dürer (1471 – 1528) beschlagnahmt.

Über den Wert der Sammlung machten die Ermittler keine Angaben. Nach inoffiziellen Schätzungen wird jedoch von bis zu einer Milliarde Euro ausgegangen. Die Bilder liegen inzwischen in einem Sicherheitstrakt des bayerischen Zolls in Garching bei München.

Eine genaue Liste aller beschlagnahmten Gemälde wurde nicht freigegeben.

Gurlitt lagerte, entgegen verschiedener Pressemitteilungen, die Gemälde in einem fachgerechten, hygienischen Zustand.

– Otto Dix (1891-1969), Farblithographie, Motiv einer älteren Dame.

(Die Herkunft kann nicht eindeutig nachgewiesen werden. In der Sammlung sind mehrere Grafiken von Dix enthalten, die im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt wurden.)

– Henri Matisse, Frauen Portrait

(Zu den jetzt entdeckten Werken zählt auch ein Bild von Henri Matisse, das einst dem jüdischen Sammler Paul Rosenberg gehört hatte. Rosenberg musste vor seiner Flucht aus Paris seine Sammlung zurücklassen. Seine Enkeltochter Anne Sinclair kämpft seit Jahrzehnten um die Rückgabe der von den Nazis gestohlenen Gemälde. Von einem jetzt aufgetauchten Frauen-Porträt von Matisse wusste Anne Sinclair bis heute nichts.)

– Zeichnungen von Carl Spitzweg mit dem Titel „Musizierendes Paar“

– Marc Chagall „Allegorische Szene“

– Franz Marc „Pferde in Landschaft“

4. Fazit

Der spektakuläre Münchner Kunstfund könnte kein Einzelfall bleiben. Denn vermutlich gibt es viele vergleichbare Privatschätze mit ähnlichem Hintergrund.

Mehr als 5000 von den Nazis zusammengeraffte Kunstwerke lagerten bis 1945 in dem steirischen Salzbergwerk und es halten sich nachhaltig Gerüchte über Kunstschätze in Privathäusern, auch in der Umgebung der Stollen in der Steiermark.