Der Welfenschatz ist der größte deutsche Kirchenschatz im Besitz einer öffentlichen Kunstsammlung. Sein Wert ist unschätzbar: materiall, ideell und historisch. Der Welfenschatz ist der heikelste aller Restitutionsfälle.
Im Mittelpunkt der Verhandlungen steht die Frage, ob die Händler den Schatz freiwillig verkauften oder ob sie von den Nationalsozialisten unter Druck gesetzt wurden.
Die bedeutendsten Goldschmiedearbeiten des Mittelalters: 1935 wurden sie von antisemitisch verfolgten Kunsthändlern an den preußischen Staat verkauft.
Die Erben von vier jüdischen Kunsthändlern fordern die Goldreliquien zurück.
Hintergrund
Zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert entstanden als Stiftungen der Adelsgeschlechter der Brunonen und Welfen Goldschmiedearbeiten, Kreuze, Monstranzen, Reliquiare und andere kostbare Kultgegenstände. Zu den Hauptstücken zählen das perlenbesetzte goldene »Welfenkreuz« aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, das 45 Zentimeter hohe Kuppelreliquiar, das einst jene heute verlorene Schädelreliquie des heiligen Gregor von Nazianz barg, die Heinrich der Löwe 1173 aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte, und der blau-goldene Tragaltar, den der Kölner Goldschmied und Emailleur Eilbertus um 1150 fertigte.
Die Herkunft des Welfenschatzes ist dokumentiert: er befand sich zunächst in der Braunschweiger Blasiuskirche und später im Dom. Als die protestantische Stadt im Juni 1671 ihre Unabhängigkeit verlor und nach der Eroberung durch die Welfen wieder in deren Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel eingegliedert wurde, übergaben die Domherren den Schatz an den 1651 zum Katholizismus übergetretenen Herzog Johann Friedrich. Der Herrscher ließ ihn zunächst nach Hannover verbringen. Um den Schatz vor Napoleon zu bewahren, verbrachten die Welfen ihn 1803 kurzzeitig nach London in den Tower. Von 1862 an wurde er im Königlichen Welfenmuseum in Hannover ausgestellt. Als sich vier Jahre später der preußische Staat das Königreich Hannover angliederte, überließ man Georg V. den Welfenschatz als privates Eigentum, den er ungehindert mit ins Exil nach Österreich nehmen konnte. Sein Enkel, Herzog Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg, beschloss 1928 die verbliebenen 82 Stücke des Schatzes zu Geld zu machen, und bot ihn am Kunstmarkt für 24 Millionen Reichsmark an. Zu den Interessenten gehörte neben verschiedenen deutschen Museen auch die Stadt Hannover, die das gesamte Konvolut zum Vorzugspreis von 10 Millionen Reichsmark angeboten bekommen hatte.
Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg verkaufte die 82 Einzelstücke des Welfenschatzes deshalb schließlich für acht Millionen Reichsmark an ein Konsortium aus vier namhaften jüdischen Kunsthändlern.
1929 bezahlen die Kunsthändler Zacharias Max Hackenbroch, Isaac Rosenbaum, Saemy Rosenberg und Julius Falk Goldschmidt und Arthur Goldschmidt dem Welfenhaus 7,5 Millionen Reichsmark für den Schatz, nur wenige Wochen vor der Weltwirtschaftskrise. Der geplante Weiterverkauf in den USA: ein Desaster. Nur ein Bruchteil ihrer Investition konnte wieder eingenommen werden.
In Deutschland konnte keine Regierung es wagen, ein millionenschweres Angebot für Kunst zu machen, während die Massenarbeitslosigkeit Menschen scharenweise in den Hunger trieb.
1933 wurden die Kunsthändler wegen ihres jüdischen Glaubens durch die NS-Rassepolitik verfolgt und wirtschaftlich ruiniert. Sie gerieten unter Druck und mussten bald aus Deutschland fliehen. Im Juni 1935 verkauften sie die noch verbliebenen 42 Stücke des „Welfenschatzes“ an den preußischen Staat, der sich durch die Dresdner Bank hatte vertreten lassen. Allerdings befand sich bereits zu dieser Zeit der Schatz wie auch die Kunsthändler im Ausland. Insofern kann man hier nicht davon sprechen, dass unter Druck der NS-Regierung verkauft werden musste. Um überhaupt erst einmal ins Gespräch zu kommen, lässt das Konsortium Ende 1933 durchsickern, man könne „unter den Ankaufspreis heruntergehen“, sofern „ernsthaft an den Ankauf gedacht würde“. Es ist klar, dass es keinen anderen Interessenten gibt als die deutschen Behörden. Die wirtschaftliche Notlage des jüdischen Händlerkonsortiums wurde hier wohl nicht ausgenutzt. Die Erben beklagen jedoch, das sei kein fairer Handel gewesen.
Wie Akten aus dem Archiv der Bank belegen, waren NS-Größen wie der preußische Ministerpräsident Hermann Göring und sein Kultusminister Bernhard Rust persönlich involviert.
Die goldenen Kreuze, Reliquiare und Tragaltäre liegen in Sicherheit in einem ausländischen Tresor, außerhalb des Zugriffs der deutschen Behörden. Monatelang wird um einen für beide Seiten akzeptablen Preis korrespondiert.
In einem Brief aus dem Preußischen Ministerium 1934 heißt es: „Da die Verkaufsaussichten der geschlossenen Sammlung jetzt ungünstig sind und eine zum Händlerkonsortium gehörende Firma sich in Zahlungsschwierigkeiten befindet, wäre die Zeit für einen Gesamtankauf durch den Staat zu einem bedeutend geringeren Preis außerordentlich günstig.“
Die Erben tragen vor, dass die maßgeblichen Bedingungen der Washingtoner Erklärung erfüllt sein, die zu einer Restitution der Sammlung führen müssten. Aber selbst die Eigentümerin, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ansonsten vorbildlich bei berechtigten Rückgabeforderungen, sieht kein Grund zur Restitution.
Rechtslage
Durch die Vorgänge 1935 könnten die jüdischen Kunsthändler ihr Eigentum am Welfenschatz nicht verloren haben, weil das Geschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten verstoßen und damit nichtig sein könnte. Folglich könnte ein Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB bestehen. Auf den ersten Blick scheinen die Anwälte alle Argumente auf ihrer Seite zu haben. Doch sucht man die Archive auf, in denen sich Akten zu dem Deal erhalten haben, zeigt sich, dass bei diesem Geschäft zwischen einem jüdisch-deutschen Konsortium und den Nazi-Behörden keine Zwangslage ausgenutzt wurde.
Kritisch zu sehen ist, dass infolge der Debatten über Raubkunst, der Staat eine Umkehr der Beweislast praktiziert: Für alle Kunstwerke, die zwischen 1933 und 1945 jüdischen Eigentümern gehört haben und jetzt in Museen sind, muss auf Antrag von Nachkommen der ehemaligen Eigentümer nachgewiesen werden, dass der Erwerb sauber war.
Die Vereinbarkeit dieser Praxis mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist fragwürdig.
Der Erfolg der Anwälte wäre dann allein einem moralischen Druck geschuldet.
Aussichten
Die aus den Vereinigten Staaten und London angereisten Erbenvertreter mussten unverrichteter Dinge wieder nach Hause fliegen.
Inzwischen droht der „Fall Welfenschatz“ auf höchster Ebene das deutsch-israelische Verhältnis zu belasten.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat für die Suche nach einer fairen und gerechten Lösung eine international tätige Großkanzlei verpflichtet.
Der Fall ist der größte und bedeutendste über den die Limbach Kommission bislang tagen musste.